Aktuelles

Hier findest du die aktuellen Nachrichten, Blogbeiträge und Veranstaltungshinweise von Roland Brutscher.


News im Mai 2023
Jupiter und Saturn liefern sich Mondgerangel

Tübingen, 17. Mai 2023 – In diesem Jahr findet zwischen Jupiter und Saturn ein wahres Mondgerangel statt. Noch zu Beginn 2023 stand Saturn mit 83 Monden knapp vor Jupiter mit 79 Begleitern. Doch im Februar überflügelte Jupiter mit 12 neu entdeckten Trabanten seinen planetaren Erzrivalen, der ohnehin mit seinem Ring die Blicke der Hobbyastronomen auf sich zieht. Jupiter ärgert das, ist er doch der größte Planet im Sonnensystem, aber sein schwaches Ringsystem ist selbst mit den besten Teleskopen nicht auszumachen. Im April legte Jupiter nochmals nach und kommt aktuell auf 95 Monde. Eindrucksvoll hat er sich damit die Mondkrone von Saturn geholt, doch Jupiter hat nicht mit dem Ringplaneten gerechnet. Der schlug nämlich im interplanetaren Mondgerangel fulminant zurück: Im Mai 2023 hat ein internationales Forscherteam 62 neue Begleiter beim Ringplaneten vermeldet – die kleinsten Trabanten sind knapp drei Kilometer groß. Damit hat Saturn jetzt 145 Monde und Jupiter mit seinen 95 Begleitern deutlich in den Mondschatten gestellt. Die Welt der Sterngucker darf gespannt sein, ob Jupiter im Mondgerangel nochmals zurückschlagen kann.


News im März 2023
Kometchen heißt in Zukunft Jahn

Tübingen, 27. März 2023 – Kustos Solis, der Hüter der Sonne, strahlt vor Freude. Das Kometchen, das er einst als 4.051.999ste Kometenschulkind in seiner Derendinger Kometenschule unterrichtet hat, bekommt seinen eigenen Namen. Nachdem es vor rund zwei Milliarden Jahren die Urkunde zum stellarlich geprüften Kometen erhalten hat, träumt der erwachsene Komet mit seiner Koma und Schweif davon, endlich offiziell entdeckt zu werden. Gelungen ist das dem Amrumer Menschenkind Jost Jahn, der jetzt vom Central Bureau for Astronomical Telegrams in den USA die Bestätigung erhielt: Der Komet P/2023 C1 heißt in Zukunft „Jahn“. Mehr als 1.000 Nächten hat er den Himmel beobachtet und zigtausende Aufnahmen mit dem Tübinger Teleskop ROTAT (Remote Observatory Theoretical Astrophysics Tübingen) gemacht, das der Stiftung „Interaktive Astronomie und Astrophysik“ gehört und sich in Südfrankreich auf dem Gelände von Frankreichs Nationalsternwarte „Observatoire de Haute Provence“ befindet. Ja, so verwirrend ist inzwischen die Kometenjagd: Ein Hobbyastronom auf einer nordfriesischen Insel sucht Kometen mit einem webbasierten Teleskop in Südfrankreich, das einer Stiftung im schwäbischen Tübingen gehört. Gelungen ist Jost Jahn die Entdeckung auch nur, weil der Komet so klein ist, dass ihn die Hochleistungsrechner anderer Observatorien nicht entdecken konnten. Etwa alle sieben Jahren besucht Komet Jahn die Erde, allerdings ist sein Licht so schwach, dass es ausschließlich professionellen Hobbyastronomen wie Jost Jahn gelingt, seine Koma samt Schweif zu beobachten.


Event im März 2023
Die Kometenschule auf dem Ostermarkt

Reutlingen, 20. März 2023 – Am 28. März 2023 stellt Kustos Solis auf dem Ostermarkt der Reutlinger Römerschanzschule sein Projekt „Die Kometenschule“ vor. Von 14.30 bis 16.00 Uhr zeigt Roland Brutscher, alias Kustos Solis, wie die Kometenschule an der Grundschule Römerschanze unterrichtet wird und welche astronomischen Inhalte vermittelt werden. Kustos Solis baut seinen Planetenweg auf, in dem die Sonne so groß wie ein Fußball und die Erde so winzig wie ein Stecknadelkopf ist. Zudem verkauft Roland Brutscher an seinem Ostermarktstand sein Buch „Die Kometenschule“, wobei 5 Euro vom Verkaufspreis als Spende an die Römerschanzschule gehen.
https://roemerschanzschule.de/schule-aktuell/termine/

News im Januar 2023
Astronomisches Jugendbuch „Die Kometenschule“ erscheint

Tübingen, 25. Januar 2023 – Roland Brutscher hat das astronomische Jugendbuch „Die Kometenschule“ vveröffentlich. Das Buch erzählt die Geschichte von Kustos Solis, dem Hüter der Sonne, der in seiner Kometenschule das Kometchen unterrichtet. Das Kometchen will ein großer Komet, dessen Licht die Menschenkinder am Nachthimmel entdecken können. Allerdings erhält es von Kustos Solis nur dann Koma, Schweif und Umlaufbahn, wenn es vorab die Kometenprüfung besteht. Denn Kometen fliegen oft kreuz und quer durch das Sonnensystem und krachen immer wieder mit Planeten zusammen. Vor allem ein Einsturz auf die Erde wäre für Pflanzen, Tiere und Menschenkinder katastrophal – das will Kustos Solis auf jeden Fall verhindern. Deshalb bringt er dem Kometchen alles bei, was es über das Weltall wissen muss.
https://rolandschreibt.de/die-kometenschule/

News im Oktober 2022
Kustos Solis zeigt Sofi an Römerschanzschule

Reutlingen, 26. Oktober 2022 – Kustos Solis, alias Roland Brutscher, hat am 25. Oktober 2023 auf dem Schulhof der Reutlinger Römerschanzschule die partielle Sonnenfinsternis (Sofi) gezeigt. Rund 200 Schülerinnen und Schüler konnten gefahrlos die Sofi verfolgen, weil der „Hüter der Sonne“ die Finsternis über eine Teleskop-Projektion der Sonnenscheibe gezeigt hat. Mit einer fußballgroßen Sonne hat Kustos Solis den Schulkindern erklärt, wie es zu einer Sonnenfinsternis kommt und weshalb diese oft nur partiell, also teilweise, zu sehen ist. Die nächste partielle Sofi, die von Deutschland aus zu sehen ist, gibt es am 29. März 2025. Die nächste totale Sonnenfinsternis über Deutschland wird erst am 3. September 2081 zu sehen sein.
https://roemerschanzschule.de/sonnenfinsternis-am-25-november/


Blogbeitrag im März 2021
Tübinger Stadtbummel in Zeiten von Corona

Wir schreiben das Jahr 2021, ganz Deutschland ist wegen Corona geschlossen …! Ganz Deutschland? Nein! In Tübingen sind seit rund zwei Wochen Einzelhandel, Gastronomie und Kulturbetriebe für all jene geöffnet, die im Besitz eines Tübinger Tagestickets sind. Seither gibt es deutschlandweit kaum eine Berichterstattung zu Corona, in der das Tübinger Modell nicht erwähnt wird. Und ich, seit gut drei Jahrzehnten Wahltübinger, werde in fast jedem Gespräch – privat und beruflich – auf das Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ angesprochen. Bisher weiß ich einzig darüber, was die Medien berichten, doch heute werde ich den Selbst­versuch wagen, die Probe aufs Exempel: einen Stadtbummel in Zeiten von Corona.

Von Derendingen zum Tübinger Modell
Die Sonne linst über die Hügel des Rammerts in meine Küche in Derendingen und sie lockt. Es ist sieben Uhr und frostig kalt, gleichwohl verspricht der Tag frühlingshafte Temperaturen und wetterseitig einen ungetrübten Stadtbummel. Und da Derendingen ein Stadtteil von Tübingen ist, steht dem Flanieren auch coronaseitig nichts im Wege. Außer: Da gibt es neun Teststationen, die wie einst mittelalterliche Mauern und Tore die Tübinger Altstadt schützen – damals vor unliebsamen Eindringlingen, heute vor coronapositiven Gästen. Zudem ist da dieses mulmige Magenkribbeln: Soll ich es wirklich wagen? Trotz Corona den Freuden des Tübinger Stadtlebens frönen: Einkaufen, einkehren und all das einfordern, was sonst in Deutschland verboten ist. Ich bin unschlüssig. Ist das gerecht? Und was, wenn ich bereits bei der Teststation ein positives Ergebnis erhalte – meine Probe aufs Exempel wäre im Keim erstickt und für mich das Tübinger Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ beendet, noch bevor es begonnen hätte.

Das Thermometer knackt die Zehn-Grad-Grenze – es ist zehn Uhr. Ich ziehe den langen Wintermantel an, setze meinen Hut auf und streife die Handschuhe über. Den obligatorischen Mund-Nasen-Schutz stecke ich in die Manteltasche. Lediglich die roten Schuhe sind ein dezenter Hinweis darauf, dass seit einigen Tagen der Frühling den Winter abgelöst hat. Für die zwei Kilometer bis zum Hauptbahnhof nehme ich das Fahrrad, danach geht es per pedes weiter. Schon von Weitem weisen mir zwei weiße Zelte und die Warteschlange den Weg zur ersten Test­station. Ich lasse sie links liegen und spaziere 300 Meter weiter zur nächsten in der Karlstraße, dort harren gut ein Dutzend Menschen aus. Ich wage einen Blick zur Station an der Neckarbrücke, da haben sich deutlich mehr Test­willige aufgereiht. Ich entscheide mich für die Karlstraße.

Eine Viertelstunde bis zum Testergebnis
Es ist zehn Uhr und 36 Minuten. Ich stelle mich zur Anmeldung an. Vier Menschen sind vor mir, die anderen warten wohl auf ihr Ergebnis. Ehe ich mich versehe, bin ich an der Reihe. Personalausweis genügt und ich erhalte von der jungen, masketragenden Frau die rote Nummer 912 in doppelter Ausführung. Ich möchte von ihr wissen, wie lange eine Schicht dauert, wie sie an den Job gekommen ist, was sie verdient – dafür ist keine Zeit. Sie notiert mir ihren Namen: Pauline Bausch.

Wenige Tage später schreibt mir Pauline Bausch, die in Tübingen im ersten Semester Philosophie studiert und zuvor beim Roten Kreuz ein FSJ samt Qualifikation zur Rettungs­sanitäterin gemacht hat, folgende Zeilen: „Wir sind in zwei Schichten eingeteilt, früh und spät, ich mache das seit der ersten Woche und bisher läuft alles okay, nur manchmal ist es etwas chaotisch. Allerdings war am Wochen­ende viel los und da gab es schon Wartezeiten von deutlich mehr als 30 Minuten. Ich bin mal gespannt, wie es zu Ostern bei Frühlingswetter wird. Auf jeden Fall ist die Entlohnung mit 18 Euro auf die Stunde ordentlich.“

Kaum, dass ich angemeldet bin, geht es weiter zum Test – stehend und im Freien. Gut, dass die Sonne wärmt. Es ist mein erster Coronatest. Ich gebe die eine Hälfte des roten Nummernzettels ab. Mir wird erklärt, dass bei den neuen Tests die Watte­stäbchen nicht mehr so tief in die Nase gesteckt werden müssen. Ich ziehe die Maske von der Nase, das Wattestäbchen tut seine Pflicht: Obgleich es ein wenig kitzelt, unangenehm ist das Rühren in der Nase nicht.

„Jetzt müssen Sie eine Viertelstunde auf das Testergebnis warten, solange können Sie gerne spazieren gehen und sich dann bitte in der Schlange hinter dem Krankenwagen anstellen“, erklärt mir der freundliche Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes.

Ich nutze die Wartezeit, um mit einem weiteren DRK-Mitarbeiter zu sprechen, von ihm erfahre ich: In der ersten Woche wurden täglich rund 5000 Menschen getestet, Tendenz steigend. Die Kapazitäten reichen für bis zu 10.000 Menschen aus. Sollte mein Ergebnis positiv sein, werde ich sofort in Quarantäne geschickt und meine Daten an das Gesundheitsamt übermittelt, das sich anschließend bei mir melden würde.

In der ersten Woche hat die Stadt rund 30.000 Menschen getestet, etwa 50 waren positiv, alle anderen erhielten das Tübinger Tagesticket. Bei mir ist dieses noch ein weißer Zettel, andere Teststation vergeben bereits ein Armband mit QR-Code, um das Testergebnis direkt via Smartphone zu übermitteln. Dies geschieht nicht alleinig, um das Testverfahren zu beschleunigen: Einige Menschen haben ihr Tagesticket nach dem Stadtbummel weitergegeben oder achtlos weggeworfen, wodurch Nichtgetestete in den Genuss der Tübinger Freiheiten kamen.

Meine Nummer 912 wird aufgerufen, es ist zehn Uhr und 50 Minuten: Vom Anstellen bis zum Ergebnis sind weniger als 15 Minuten verstrichen. Da sucht manch einer länger einen Parkplatz für sein Auto – oder in Tübingen auch einen Stellplatz für sein Fahrrad. Mein Testergebnis ist negativ und ich bekomme die Eintrittskarte für den Tübinger Stadtbummel mit Shoppen, Bierchen trinken und Museumsbesuch.

Test in Modehaus und Sportgeschäft
Gleich neben der Teststation ist der Eingang zum Modehaus Zinser. Ich gehe hinein, werde geprüft und durchgelassen. Allein für eine Stellungnahme zum Tübinger Modellprojekt haben die Verantwortlichen keine Zeit. Direkt verbunden mit dem Modehaus ist das Sportgeschäft „Intersport Räpple“, hier steht Filialleiter Demian Werminghausen für Nachfragen gerne bereit.

„In der ersten Woche war für uns das Tagesticket eher ungeschickt, da die Inzidenz in Tübingen unter 50 lag und wir ohnehin hätten öffnen dürfen, durch das Tagesticket wurde die Kundenfrequenz stark geschwächt, da Spontanbesuche in unserem Haus nicht mehr möglich waren“, sagt Demian Werminghausen. „Doch jetzt, bei gestiegener Inzidenz, hätten wir eigentlich auf Click and Meet wechseln müssen, haben aber durch das Tagesticket die Möglichkeit, dennoch zu öffnen. Gewünscht hätte ich mir, dass das Modell nicht nur für die Tübinger Innenstadt gilt, dann hätten unsere Kunden auch unsere zweite Filiale, das Intersport Adventure in der Reutlinger Straße, ohne komplizierte Voranmeldung besuchen können.“

Ich verlasse das Zinserdreieck und gehe zur Neckarbrücke. Noch genieße ich ohne Maske das Tübinger Postkarten­idyll mit Hölderlinturm und Stiftskirche – einzig die Stocherkähne fehlen. Wenige Meter weiter tauche ich in die Neckargasse ein, ab hier ist Masken­pflicht und ein wenig wundert es mich: Nahezu alle halten sich daran, außer die Eisschlotzer und Raucher. Und selbst sie stehen abseits und wollen niemand stören.

Eintauchen in die Altstadt
Der Weg hinauf zur Stiftskirche, den ich schon so viele hundertmal gegangen bin, kommt mir fremd vor. Ich reihe mich ein in den dahinziehenden Menschenstrom, trotz der engen Neckargasse kommt es zu keinem Gedränge, jeder achtet auf den anderen. Verstohlen spechte ich in die Bursa­gasse, die Pizzeria Al Dente hat geöffnet und die Tische im Freien sind belegt. Ich schlendere beschwingt über den Holzmarkt zum Marktplatz, da schrecke ich auf: Ein junger Mann spricht laut und bestimmt einen älteren Herrn an, der sein Fahrrad durch die Fußgängerzone schiebt.

„Verloren. Traue mich nicht. Anfassen. Mach ich.“ Das sind die Wortfetzen, die ich auffange. Nein, kein Disput, sondern dem Fahrradschieber ist lediglich eine Lauchstange aus dem Korb gefallen und der ehrliche Finder hat es nicht gewagt, sie mit den eigenen Händen anzufassen. Er darf es nach kurzer Verständigung und legt achtsam die Lauchstange zurück in den Fahrradkorb. Apropos Lauchstange, mir fällt ein, heute ist Markttag in Tübingen.

Weniger Stände als zu Nichtcoronazeiten sind es auf dem Marktplatz, Menschen sind reichlich unterwegs. Die Sitzplätze der Kneipen und Cafés sind besetzt – allerdings haben nicht alle geöffnet. Eine nicht zu übersehende Warteschlange mäandert über das Kopfsteinpflaster hin zur Teststation vor dem mittelalterlichen Rathaus. Dort residiert er, unser grüner Oberbürgermeister Boris Palmer, der aktuell mehr in Talkshows zu sehen ist als in Tübingen. Er hat gemeinsam mit unserer Notfallmedizinerin Lisa Federle, die seit wenigen Monaten stolze Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande ist, das Tübinger Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ auf die Beine gestellt. Und was ich bisher erlebe, es sind standhafte Beine.

Gute Stimmung im Einzelhandel und Museum
Ich entfliehe den Marktmenschen und biege in die Marktgasse ein, hinunter in die Unterstadt. Meine Blicke verfangen sich an dem liebevoll gestalteten Lädchen „Mein zu Hause“. Die Besitzerin Sandra Maria Pauli steht in der Tür, sie beäugt das Tübinger Treiben und selbst mit ihrer Maske ist zu erkennen, sie ist frohgelaunt. Ich frage sie, wie ihr Geschäft seit Beginn des Modellprojekts läuft.

„Die Idee mit dem Tagesticket ist toll, meine Stammkundschaft kann endlich wieder zu mir kommen und auch wenn dem ein oder anderen das Testen nicht behagt, ich bin zufrieden mit dem Zulauf und kann endlich wieder positiv in die Zukunft blicken – hoffentlich wird das Projekt weitergeführt“, sagt Sandra Maria Pauli.

Der Handel scheint zufrieden – und was macht die Kultur? Wenige Meter weiter wartet das Tübinger Stadtmuseum auf mich. Die Dauerausstellung zur Scherenschnitt­künstlerin Lotte Reiniger habe ich zigmal gesehen und auch die Ausstellung zur Tübinger Stadtgeschichte kenne ich. Mit meinem Tagesticket erhalte ich freien Eintritt und bekomme sogar eine persönliche Führung durch die Sonderausstellung „Lass die Sau raus“. Sie geht der Frage nach, woher Sprichwörter kommen und was sie bedeuten – und kann mit allen Sinnen wahrgenommen werden. Die Ausstellung ist eigens auch für Blinde und Gehörlose konzipiert. Von der Museumsleiterin Wiebke Ratzeburg erfährt ein Hörender wie ich, dass es auch in der Gebärdensprache Redewendungen gibt, manche jedoch leicht abgeändert: Bei „Zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus“, wird das „Ohr“ durch das „Auge“ ersetzt.

„Wir sind uns in Tübingen durchaus bewusst, dass wir privilegiert sind und sind dankbar, dass unsere Museumstür geöffnet ist“, sagt Wiebke Ratzeburg, „allerdings machen wir derzeit nicht allzu viel Werbung, wir wollen Schritt für Schritt vorangehen und stellen nach gut einer Woche fest, dass die Sehnsucht der Menschen groß ist, wieder in unser Haus zu kommen.“

In der Sonderausstellung fällt mein Blick auf einen Heuhaufen. Offenkundig, welches Sprichwort sich dahinter verbirgt. Sofort kommt mir der Gedanke, dass es auf das Tübinger Modellprojekt zutrifft – die Stecknadel ist der positive Corona-Fall. Ich stöbere durch das Museum. Etwas verwirrend sind die vorgeschriebenen Wege: Obgleich niemand auf der Treppe ist, darf ich einzig mit dem Aufzug nach oben. Dort erfahre ich, dass Anfang des 19. Jahrhunderts der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora das Weltklima veränderte und der Grund dafür war, dass 1817 rund 500 Familien von Schwaben in den Kaukasus auswanderten. Vor Corona können wir nicht fliehen – wohin auch?

Cafés sind voll – auch dank auswärtiger Gäste
Ich bin seit zwei Stunden unterwegs und durstig. Es ist gar nicht so einfach, ein freies Plätzchen zu ergattern – auch weil viele Gaststätten noch geschlossen sind. Auf dem Holzmarkt, direkt neben der Stiftskirche, bekomme ich nach kurzem Warten im Café Tangente Jour einen Schattenplatz. Zum Glück, denn Hut und Wintermantel sind mir längst zu warm und die Handschuhe tief im Rucksack verstaut. Ich bestelle ein Weizenbier, zu dieser Tageszeit natürlich alkoholfrei. Schnell komme ich ins Gespräch mit den Menschen an den Nebentischen. Ich will wissen, woher sie kommen. Die einen aus dem nahe gelegenen Esslingen, die anderen aus dem noch näheren Nürtingen. Die Esslinger erzählen mir, dass ihr Sohn in Tübingen studiert und er hätte gemeint, dass Tübingen am Wochenende von den Schweizern heimgesucht wurde. Sie wollen von mir wissen, wie das für uns Tübinger sei.

„Kein Problem, ich freue mich darüber, wenn die Menschen nach Tübingen kommen, zudem ist es gut für das Modellprojekt, je vielfältiger die Getesteten sind, desto aussagekräftiger werden die Ergebnisse sein“, antworte ich.

Auf Nachfrage bei der Stadt Tübingen gibt man sich wortkarg. Man führe keine Statistiken darüber, woher die Besucherinnen und Besucher stammen, heißt es dort. Deshalb erfahre ich nicht, wie viele Schweizerinnen und Schweizer es tatsächlich waren. Gleichwohl hat unser Oberbürgermeister nach der ersten Tagesticket-Woche erlassen, dass es am Wochenende eine Beschränkung für auswärtige Gäste gibt – lediglich 3000 Tests stehen für sie bereit und an Ostern dürfen lediglich Kreistübinger die Altstadt besuchen.

Mein Nürtinger Tischnachbar heißt Christoph Kaufmann, gerne gibt er mir Auskunft darüber, weshalb er und seine Frau heute nach Tübingen gekommen sind: „Wir sollten einfach mal ausprobieren, wie das mit dem Tübinger Tagesticket klappt und wir sind begeistert, alles läuft reibungslos. Wir genießen es, wieder ein wenig Normalität zu erleben, ansonsten sitze ich in meinem Architektenbüro mehr oder weniger fest, denn beruflich läuft derzeit das meiste online.“

Gerne hätte ich vom Team der Tangente Jour gewusst, wie für sie das Tübinger Modellprojekt läuft. Für Fragen indes ist keine Zeit, während ich bezahle, ruft mir dir freundliche Bedienung zu: „Ich habe keine Zeit, aber schreiben Sie einfach, dass alles prima ist und die Leute zu uns kommen sollen und wir uns freuen.“

Besuch von Kino und Theater muss geplant sein
Beseelt verabschiede ich mich von meinen Tischnachbarn und starte eine abschließende Runde durch die Unterstadt. Am Nonnenhaus auf der schmalen Flaniermeile mit Eiscafé San Marco, Osteria-Cafe-Bar und Café Piccolo Sole d’Oro herrscht ebenfalls reges und rücksichtsvolles Treiben. Selbst am legendären Affenberg, dem Tübinger Stelldichein der Hautevolee, sind noch Plätze an der Sonne frei. Mich interessiert indes das Kino Museum dahinter. Ich schaue nach, was auf dem Programm steht. Heute gibt es keine Vorstellung, obgleich erwähnt ist, dass ausschließlich mit dem Tübinger Tagesticket Zugang gewährt wird.

Ich verlasse die Stadt und mache mich auf den Nachhauseweg. Es ist kurz vor 15 Uhr. Die Warteschlange bei der Teststa­tion in der Karlstraße ist deutlich länger als heute Morgen. Zuhause in Derendingen versuche ich, an Theaterkarten zu kommen. Sowohl das Zimmertheater als auch das LTT (Landestheater Tübingen) öffnen heute ihre Vorhänge für all jene, die im Besitz eines gültigen Tagestickets sind. Die LTT-Komödie „Ein grosser Aufbruch“ würde mich interes­sieren, lachen in Zeiten von Corona würde guttun, allerdings bin ich für eine Theaterkarte zu spät dran.

Am Telefon wird mir mitgeteilt, dass die Vorstellung leider ausverkauft ist und auch in den kommenden Tagen keine Karten mehr zu haben sind. Aufgrund der Hygienemaßnahmen können nur etwa ein Fünftel der Plätze belegt werden, nichtsdestotrotz ist man beim LTT froh, dass endlich wieder gespielt wird und die Hoffnung ist groß, dass das Modellprojekt eine Fortsetzung findet. Der Hunger nach Theater scheint ungeheuer groß zu sein.

Ich bedanke mich beim Menschen von der LTT-Kasse und verspreche ihm, wieder ins Theater zu kommen, wenn der Andrang nachlässt. Und ich teile den Wunsch: Hoffentlich kann das Tübinger Modellprojekt möglichst lange fortgeführt werden – und nicht bloß hier im Schwabenland, sondern an so vielen Orten wie irgend möglich.

Autor: Roland Brutscher

Roland Brutscher ist freier Autor, Journalist und PR-Berater